Eine Flucht ins Ungewisse

Eine Woche nach dem Kriegsausbruch in der Ukraine vor einem Jahr, fällte Yuliia Horbatko die schwierigste Entscheidung ihres Lebens: Mit ihrer kaum vierjährigen Tochter flüchtete sie aus ihrem Heimatland ins Ungewisse. Im Interview erzählt die Alleinerzieherin vom unverhofften Neubeginn in Salzburg und ihren Wünschen für die Zukunft ihres kleinen Mädchens.

Jedes Kind in der Ukraine weiß, was Krieg ist“, sagt Yuliia

Februar 2022: Russland greift die Ukraine an. Um den Schock gemeinsam zu verarbeiten, fährt Yuliia Horbatko sogleich mit ihrer Tochter zu ihren Eltern. Eines nachts, nur wenig später, reißt die Familie plötzlich ein lautes Geräusch aus dem Schlaf. Eine Explosion in der Nähe, gefolgt von purer Panik. So schnell sie können, bunkern sie sich mit dem Allernötigsten im kalten und feuchten Keller ein, wo sie eine Woche lang ausharren. Laufend erhalten sie Bombenwarnungen und Nachrichten über Angriffe auf ukrainische Gebiete. Es dauert nicht lange, bevor sogar über einen möglichen Atomangriff spekuliert wird. Angst ist jetzt der einzige Antrieb der 37-jährigen Mutter. Sie weiß: Es könnte zu spät sein, wenn sie nicht sofort mit ihrer Tochter flieht.

Schon Wochen vorher gab es Gerüchte über eine Eskalation, aber niemand wollte es wirklich glauben. Bis zum Schluss dachte niemand, dass es wirklich passieren würde“, erinnert sich Yuliia Horbatko an Anfang 2022. Auch sie hatte mit ihrer kleinen Tochter ein ganz normales Leben in der Stadt Dnipro geführt. Wann sie dorthin jemals wieder zurückkehren werden, steht jetzt in den Sternen. Auf die Frage der Mutter, ob die Tochter lieber hier in Salzburg oder in der Ukraine in den Kindergarten geht, antwortet die mittlerweile fast Fünfjährige: „Hier. In die Ukraine möchte ich nicht mehr, dort ist es gefährlich. Sie schießen und Bomben fliegen. Hier ist alles schön.

Wie sehr man es auch versuche, den Krieg könne man vor Kindern nicht verbergen. „Der Krieg ist überall. Alle Kinder in der Ukraine wissen: Wenn die Sirene ertönt, müssen sie sich sofort auf den Boden legen. Spielplätze sind leergefegt, die Menschen haben Angst. Und die Kinder stellen auch viele Fragen. Sie fragen, warum Krieg herrscht. Ob sie es denn verdient hätten, angegriffen zu werden. Antworten gibt es keine“, schildert Yuliia bedrückt. „Wie soll sich diese Generation an Kindern, die Krieg in einem so jungen Alter hautnah erleben, entwickeln? Niemand weiß, wann und was als nächstes passiert. Und niemand kann sagen, was die psychologischen Auswirkungen sein werden.“ In Salzburg ist Yuliia Horbatkos Tochter in Sicherheit, dafür ist sie mehr als dankbar.

Nach dem Kriegsausbruch reisten Mutter und Kind zunächst nach Italien. „Eine Freundin dort bot mir an, dass wir einen Monat bei ihr und ihrer Familie bleiben können.“, erklärt Yuliia. In dieser Zeit plante Frau Horbatko bereits ihren nächsten Schritt, denn in Italien zu bleiben, war für sie keine Option. „Wir bekamen dort keine Hilfe. Also entschloss ich mich für Wien.“ Ukrainer*innen in Twitter-Gruppen versorgten sie mit Informationen und Tipps. So erfuhr sie schnell von einer Salzburger Familie mit ukrainischen Wurzeln, die zwei Personen aufnehmen würde. Von Wien ging es also direkt weiter nach Salzburg. Drei Monate blieben Yuliia Horbatko und ihre Tochter bei dieser Familie.

Die Familie unterstützte uns so sehr. Sie vermittelten uns schließlich an die Caritas, wodurch im Rahmen der Grundversorgung rasch eine dauerhafte Wohnung und ein Kindergartenplatz für uns organisiert werden konnten. Da haben sie uns mit allem geholfen. Auch wenn wir jetzt mit Fragen hinkommen, erhalten wir immer ausführliche und persönliche Auskunft. Alles, was wir brauchen – die Menschen sind immer hilfsbereit.“ So auch zu Weihnachten 2022, als Frau Horbatko keine Mittel hatte, ihrer Tochter ein Geschenk zu besorgen. Über die Christkindlaktion der Caritas bekam ihre Kleine einen liebevoll verpackten Roller. „Ich musste vor Glück weinen“, erzählt die Mutter.

Jetzt möchten Mutter und Kind erst einmal Deutsch lernen. Und sich auf ihre psychische und körperliche Gesundheit konzentrieren. „Ein Fahrrad wäre toll, damit wir Ausflüge in die Natur machen können, um den Kopf frei zu bekommen. Ich möchte einfach wieder Stabilität in unser Leben bringen.“ An eine Zukunft zurück in der Ukraine denkt Frau Horbatko momentan nicht. „Ich weiß, dass der Krieg nicht so schnell vorbeigeht. Und wenn er beendet ist, dann wird die Ukraine zerstört sein – die ganze Infrastruktur. Die Menschen dort haben alles verloren. Dem möchte ich meine Tochter nicht aussetzen. Wie alle Eltern, will ich meinem Kind ein gutes Leben ermöglichen. Hier in Salzburg gefällt es uns.“

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